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24.06.2021

Auszeichnung für herausragendes Engagement der psychosozialen Hilfe für Überlebende des Holocaust

 
 
Dr. Giselle Cycowicz (Psychologin, AMCHA-Therapeutin und Überlebende der Shoah), Dr. Martin Auerbach (klinischer Leiter von ACHA Israel). Bildnachweis: Florian Krauss für AMCHA Deutschland, Privat, Collage IAK Berlin

Dr. Giselle Cycowicz (Psychologin, AMCHA-Therapeutin und Überlebende der Shoah), Dr. Martin Auerbach (klinischer Leiter von ACHA Israel). Bildnachweis: Florian Krauss für AMCHA Deutschland, Privat, Collage IAK Berlin

 

 

 

Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Dr. Giselle Cycowicz und Dr. Martin Auerbach

Auf Initiative des Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier werden am Donnerstag, 24. Juni 2021, die Psychologin, AMCHA-Therapeutin und Überlebende der Shoah, Dr. Giselle Cycowicz und der klinische Leiter von AMCHA Israel, Dr. Martin Auerbach, mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Die Ordensverleihung wird von Susanne Wasum-Rainer, der Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland, in Tel Aviv vorgenommen.

 

Lukas Welz, Vorsitzender von AMCHA Deutschland:

„Die Auszeichnung des Bundespräsidenten ist nicht nur eine besondere Würdigung der Verdienste von Giselle Cycowicz und Martin Auerbach. Sie ist auch Ausdruck der Wertschätzung für das jahrzehntelange Wirken von AMCHA für die Überlebenden der Shoah und ihre Nachkommen, die oft erst durch die psychosoziale Hilfe einen Weg fanden, mit den traumatisierenden Erfahrungen umzugehen. Manche von ihnen fanden sogar die Kraft, selbst zu Zeitzeug*innen zu werden und auch in Deutschland von ihren Erfahrungen zu schildern. 

So auch Giselle Cycowicz, die selbst Auschwitz überlebte und hunderte Jugendliche aus Israel und weltweit durch ihre Zeitzeugenberichte über die Verbrechen der Shoah aufklärte. Sie steht wie keine zweite für die damals notwendige psychosoziale Selbsthilfe von Überlebenden der Shoah, denn lange Zeit gab es keine adäquate Unterstützung für die besonderen Bedürfnisse derjenigen, die während der NS-Zeit Folter, Gewalt, Verfolgung und Flucht erlebt haben. Bis heute ist sie, die selbst Auschwitz überlebte, für andere Überlebende die Vertrauensperson. Ohne ihre professionelle Hilfe würden sich viele Überlebende bis heute nicht öffnen und Unterstützung erhalten. Auch ihre therapeutische Arbeit mit Demenzkranken ist dabei hervorzuheben.

Martin Auerbach steht wiederum für die zweite Generation nach der Shoah, die selbst familiär mit der traumatisierenden Vergangenheit geprägt wurde. Als Psychiater, Therapeut und klinischer Leiter hat er die Unterstützung von AMCHA für Überlebende und ihre Nachkommen wesentlich geprägt und an der Schnittstelle zwischen Menschenrechts- und Erinnerungsarbeit sowie Gesundheitspolitik für eine Verbesserung der psychosozialen Unterstützung gesorgt.“

AMCHA hat in den vergangen 34 Jahren tausende Überlebende ermächtigt, sich ihrer traumatisierenden Vergangenheit zu stellen und einen guten Umgang damit im Alltag zu finden. Seit 2021 wird auch die Hilfe für Nachkommen durch die Bundesregierung gefördert.

 

Dr. Giselle Cycowicz wurde am 25. Februar 1927 als Gisela Friedmann in Chust in der heutigen Ukraine geboren. Nach der Besetzung von Ungarn 1944 wurde Giselle Cycowicz im Alter von 17 Jahren mit ihrer Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Ihr Vater, der zunächst zur Zwangsarbeit in Auschwitz Buna-Monowitz verpflichtet wurde, ist im Oktober in Auschwitz-Birkenau ermordet worden. Zur gleichen Zeit wurde Giselle Cycowicz mit ihren Schwestern in das Arbeitslager Mittelsteine deportiert, ihre Mutter blieb in Auschwitz.

Die Schwestern und ihre Mutter überlebten und fanden sich wieder. 1948 gelang ihre Emigration in die USA, wo sie 1957 in New York heiratet. Nach der Geburt ihrer drei Kinder nahm sie im Alter von 42 Jahren ein Psychologiestudium auf und promovierte 1978 in New York darin.

Nach dem Tod ihres Ehemanns 1992 folgte Giselle Cycowicz ihren drei Kindern nach Israel. Dort begann sie für AMCHA zu arbeiten und leistete – ganz im Sinne des Gründungsgedankens der Selbsthilfe von Überlebenden für Überlebende – psychosoziale und psychotherapeutische Hilfe. Noch heute, im Alter von 94 Jahren, begleitet sie Überlebende der Shoah, die oft nur zu ihr Vertrauen haben. Sie lebt in Jerusalem und erfreut sich an mittlerweile 21 Enkel- und neun Urenkelkindern.

Im Januar 2020 traf sie den Bundespräsidenten bei seinem Besuch im AMCHA-Zentrum Jerusalem (Link). 2018 erschien das Buch „Weiterleben ohne Wenn und Aber. Die Shoah-Überlebende Giselle Cyocwicz“ von der Journalistin Sabine Adler.

 

Dr. med. Martin Auerbach ist Psychiater und Psychotherapeut und wurde 1958 in Wien als Kind von Überlebenden der Shoah geboren. Nach seinem Medizinstudium in Wien, übersiedelte er im Jahre 1983 nach Israel. Seit 2007 ist er der klinische Direktor von AMCHA. In dieser Funktion hat er die psychosoziale Hilfe von AMCHA für Überlebende der Shoah, ihre Nachkommen und weitere Gruppen, die kollektive Gewalterfahrungen machen mussten, wesentlich vorangetrieben. Unter seiner Leitung wurde unter anderem die psychosoziale Hilfe für Geflüchtete aufgebaut, die in Israel leben und Krieg, Folter und Flucht überlebt haben. Durch das neugestaltete Programm, finanziert von der israelischen Regierung, wird vielen von ihnen erstmals psychotherapeutische Unterstützung zur Verfügung gestellt. Auch die psychosoziale Hilfe für Nachkommen von Überlebenden der Shoah wird unter seiner Leitung derzeit wesentlich ausgebaut und erweitert.

Zwei Jahrzehnte lang arbeitete er in leitenden Positionen in kommunalen Zentren für psychische Gesundheit in Jerusalem. Seine beruflichen Interessen sind Trauma, Traumatherapie, Angststörungen und verschiedene Modalitäten der Psychotherapie. Seit 1993 arbeitet er als psychiatrischer Berater im AMCHA Jerusalem. 2008-2014 war er der Vertreter von AMCHA im Vorstand der Israel Trauma Coalition (ITC).

 

 

AMCHA – Zahlen und Fakten 2020

- 1987 als Selbsthilfeorganisation von Überlebenden des Holocaust in Israel gegründet, die erkannten, dass sie und ihre Familien spezialisierte Hilfsangebote benötigen, die in der Gesundheitsversorgung bis dahin nicht beachtet wurden.

- Amcha (Hebräisch: Dein Volk, sinngemäß: eine/r von uns) Der Begriff wurde schon zur Zeit der NS-Verfolgung von Juden als Codename benutzt, um sich untereinander zu erkennen zu geben.

- 15.646 Menschen wurden 2020 durch AMCHA in Psychotherapien und sozialen Aktivitäten in Israel unterstützt, um trotz ihrer teils schweren Traumatisierungen ein würdevolles Leben führen zu können. Das sind fast doppelt so viele Betreute, wie noch vor zehn Jahren.

- Von ihnen sind 8.623 Menschen Überlebende des Holocaust und 440 Menschen Angehörige der Folgegenerationen. Die übrigen Klientengruppen sind traumatisierte Hilfesuchende anderer Kontexte (7.140 Menschen).

- Die Zahl der Therapiestunden stieg von 127.972 Stunden (2010) auf 242.998 Stunden (2020).

- AMCHA ist eine der größten Hilfsorganisationen zur Förderung seelischer Gesundheit für traumatisierte Überlebende kollektiver Gewalt weltweit.