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Artikel aus dem "Neuen Deutschland" vom 13. Oktober 2005

 

"Das Zentrum des Weltgewissens"

Seit zwei Jahren ist der Sitz des zentralen Büros des Internationalen Auschwitz Komitees in Berlin

Von Ingrid Heinisch 

Das Büro des Internationalen Auschwitz Komitees wirkt nicht spektakulär: zwei kleine Räume, zwei Arbeitsplätze mit Computern. Gerade genug Platz für den Büroleiter und Vizepräsidenten des IAK Christoph Heubner und seine Mitarbeiterin Susanne Goldstein. Wenn auch die Räumlichkeiten unscheinbar sind, so ist doch der Ort, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, an dem sie beherbergt sind, umso bemerkenswerter.
 
Was für eine Verbindung! Das Internationale Auschwitz Komitee, das alle ehemaligen Auschwitz-Häftlinge vertritt, hat seinen zentralen Sitz in Berlin, in der Stadt der Nazi-Machthaber, aber in der Gedenkstätte für die wenigen, die es wagten gegen das Naziregime aufzustehen. Seit zwei Jahren besteht diese zentrale Vertretung, die eine lange Vorgeschichte hat. Selbstverständlich ist sie nicht.
Das Internationale Auschwitz Komitee wurde 1952 gegründet. Sieben Jahre nach dem Krieg beschlossen die ehemaligen Auschwitz-Häftlinge, sich zu organisieren. Auschwitz sollte niemals vergessen werden. Sie wollten ihre Stimme erheben, um stets vor gefährlichen politischen Entwicklungen zu warnen. Deren es angesichts des Kalten Kriegs und des Kriegs in Korea genug gab.

Die ehemaligen Häftlinge trafen sich regelmäßig in der Gedenkstätte von Auschwitz. Mit den Jahren merkten sie, dass ihre Aufgaben nicht abnahmen, sondern immer mehr wuchsen. Was nach dem Krieg vollkommen unmöglich erschien - dass Auschwitz in Vergessenheit geraten könnte, dass es wieder Anhänger des Nationalsozialismus geben könnte - das entwickelte sich mit den Jahren zur bitteren Realität. Ihr Motto "Nie wieder Auschwitz, Nie wieder Krieg" schien als Illusion zu scheitern. Aber die ehemaligen Auschwitz-Häftlinge waren hartnäckig. Sie verstanden, dass sie immer wieder von ihren Erfahrungen berichten mussten und dass sie einen pädagogischen Auftrag hatten: zu erklären, wo und wann der Weg nach Auschwitz beginnt. Sie suchten den Kontakt zur Jugend. Vor allem in den Ländern, aus denen sie nach Auschwitz verschleppt worden waren. Besonders lag ihnen am Kontakt mit deutschen Jugendlichen.

Das geschah in Zusammenarbeit mit der evangelischen Organisation Aktion Sühnezeichen. Sie wurde 1958 gegründet und wollte Aufbau- und Friedensarbeit in den Ländern des ehemaligen Gegners leisten. Die so genannten Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen trafen ehemalige Auschwitz-Häftlinge. Zum Beispiel der junge Christoph Heubner den damaligen Kurator des Museums von Auschwitz, Tadeusz Szymanski. Daraus entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Szymanski war vier Jahre Häftling in Auschwitz. Danach widmete er sein ganzes Leben dem Aufbau der Gedenkstätte dort. Er war von einem tiefen Humanismus geprägt. In unzähligen Gesprächen erzählte Szymanski Freunden und Besuchern der Gedenkstätte von seinen Lagererlebnissen. Ein Wissen, das Christoph Heubner bis heute an Jugendliche weiter gibt.

Die Aufgaben des IAK wurden immer größer. Am Anfang wollten die ehemaligen Häftlinge vor allem ihrer politischen Stimme Gehör verschaffen. Dann begannen die Treffen in der Gedenkstätte mit Jugendlichen aus aller Welt. Auch das genügte nicht.

Sie gingen in die Schulen, um dort von ihren Erlebnissen zu erzählen. Sie veranstalteten Seminare für Lehrer und andere Multiplikatoren, immer mit dem Ziel, ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiterzugeben. Seit einigen Jahren hat sich das IAK für Jüngere geöffnet. Es war eine schwierige Entscheidung, aber den ehemaligen Häftlingen war klar, dass ihnen die Zeit davon lief, dass sie ihre Aufgabe weitergeben mussten. Sie wünschten sich, dass mehr geschehen sollte, nicht weniger: eine zentrale Vertretung, die kontinuierlich arbeiten würde. Wo aber sollte die sein? Sie entschieden sich für Berlin, ein großer Vertrauensbeweis für die Deutschen.

Seit zwei Jahren besteht das Büro. Die erste Zeit war von den Vorbereitungen auf den 60. Jahrestag der Befreiung am 27. Januar 2005 geprägt. Zum ersten Mal organisierte das IAK eine Ausstellung in der UNO. Bei der zentralen Gedenkfeier in Berlin sprachen nicht nur die Überlebenden Noah Pflug und Kurt Goldstein, sondern auch junge Leute. Da waren junge Deutsche, die ihre Eindrücke von ihrem Besuch in Auschwitz schilderten. Da war aber auch ein junger Pole, der in Oswiecim - das ist das polnische Wort für Auschwitz - geboren ist und berichtete, was für ihn Auschwitz bedeutet. Am 14. Oktober wird das IAK ein Treffen aller Vorsitzender der internationalen Lagergemeinschaften veranstalten: von Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Auschwitz usw.. Sie wollen miteinander feststellen: "Wo stehen wir jetzt?" Denn die ehemaligen Häftlinge bewegen große Sorgen, so Christoph Heubner: Einerseits ist viel Gutes geschehen. Auschwitz ist zum "Zentrum des Weltgewissens" geworden, so sagt er. Immer neue Begegnungs- und Schulungszentren entstehen dort. Andererseits müssen die ehemaligen Häftlinge feststellen, dass trotz aller Aufklärungsarbeit der Antisemitismus erstarkt und rechte Gruppen und Parteien immer mehr Fuß fassen, auch und gerade in Deutschland. Sie wollen in Paris über neue pädagogische Konzepte für die Gedenkstätten und ihre Arbeit nachdenken. Sie wollen die Zeit nach sich planen.

Es gibt viel zu tun für die nachfolgenden Generationen. Es gibt viel zu tun für das IAK in Berlin.