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27. Januar 2014: UN-Generalsekretär Ban Ki-moon

Gedenken auf dem Weg zum Lagertor

Den Hass und das Gedankengut zu bekämpfen, das Millionen zum Opfer des Holocaust gemacht hat, ist erste Priorität der Vereinten Nationen und unser aller Aufgabe – von Generation zu Generation

Der diesjährige Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust fällt in eine Zeit, in der uns die Gefahr des Vergessens allerorts in Erinnerung gerufen wird. Der Völkermord in Ruanda jährt sich heuer zum zwanzigsten Mal. Die Konflikte in Syrien, dem Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik haben eine gefährliche Dimension angenommen. Intoleranz ist weiterhin eine Geißel unserer Gesellschaft und der Politik. Die Welt kann und muss mehr unternehmen, um das gefährliche Gedankengut, das zur Errichtung der Lager geführt hat, auf immer zu verbannen.

Ich besuchte Auschwitz-Birkenau im November 2013. Ein kalter Wind wehte an diesem Tag; der Boden unter meinen Füßen war steinig; doch ich trug einen Mantel und feste Schuhe. In Gedanken war ich bei jenen, die weder Mäntel noch feste Schuhe hatten: Juden und andere Gefangene, die einst im Lager interniert waren. Ich dachte an jene Menschen, die lediglich am Leben gelassen wurden, um durch Zwangsarbeit den Tod zu finden. Vor allem aber dachte ich daran, dass der Holocaust auch heute noch außerhalb der Grenzen des menschlich Fassbaren liegt. Schier unbegreiflich erscheinen die unsagbare Grausamkeit, das unbeschreibliche Ausmaß der Verbrechen, die extreme und zutiefst verzerrte Weltanschauung der Nazis und die sorgfältige Planung und Organisation der Massenermordung.

Die Baracken in Birkenau schienen sich in alle Richtungen bis zum Horizont zu erstrecken - eine unüberschaubare Todesfabrik. Das "Buch der Namen", in dem die Namen Millionen ermordeter Juden festgehalten sind, füllt einen ganzen Raum und umfasst dennoch nur einen Bruchteil der Opfer, zu denen auch Polen, Roma, Sinti, sowjetische Kriegsgefangene, Regimegegner, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen und andere zählen. Ein Video, das das Leben europäischer Juden in den 1930er-Jahren zeigt, hat mich besonders bewegt - es zeigt gemeinsame Familienessen, Strandbesuche, Musik- und Theateraufführungen, Hochzeiten und andere Bräuche; all dies wurde durch eine bis heute beispiellose systematische Massenvernichtung brutal ausgelöscht.

Der polnischstämmige Jude Marian Turski, Auschwitz-Überlebender und Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, durchschritt mit mir gemeinsam das berüchtigte Eingangstor des Lagers, über dem die Inschrift "Arbeit mach frei" prangt. Rabbi Yisrael Meir Lau, Buchenwald-Überlebender und Oberrabbiner in Tel Aviv, stand mit mir auf jener Rampe, auf der Transportzüge ihre menschliche Fracht entluden, und erinnerte sich an jenen traumatischen Moment, als der Fingerzeig eines SS-Kommandanten über Leben und Tod entschied. Ich trauere um die Opfer der Lager und verneige mich voll Ehrfurcht vor den Überlebenden, die uns trotz schmerzvoller Erinnerungen die Stärke des menschlichen Geistes vor Augen führen.

"L'dor v'dor", sagte Marian Turski zu mir, das ist Hebräisch und bedeutet "von Generation zu Generation", das Weitergeben von Weisheit. Aus diesem Grund ist Auschwitz-Birkenau auch auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Wir können keine Zukunft bauen, ohne uns an die Vergangenheit zu erinnern; was einmal passierte, kann wieder passieren.

Hass bekämpfen ist eine der grundlegenden Missionen der Vereinten Nationen. Unsere Menschenrechtsmechanismen arbeiten für den Schutz der Menschen. Unsere Sondergerichtshöfe und Tribunale bemühen sich, Straflosigkeit zu bekämpfen, sorgen für Gerechtigkeit und wenden Verstöße ab. UN-Sonderberater für die Verhütung von Völkermord und Schutzverantwortung suchen weltweit nach Wegbereitern von Gräueltaten. Die "Allianz der Zivilisationen"-Initiative bekämpft sämtliche Erscheinungsformen des Hasses, von Antisemitismus und Islamophobie bis Ultranationalismus und Voreingenommenheit gegenüber Minderheiten.

Seit fast einem Jahrzehnt arbeitet das UN-"Holocaust Outreach Programme" mit Lehrkräften und Studenten auf allen Kontinenten zusammen, um Toleranz und universelle Werte zu fördern. Mit dem neuesten Bildungsmaterial des Programms, das in Partnerschaft mit dem United States Holocaust Memorial Museum produziert wurde, sollen Studien über den Holocaust in den Klassenzimmern von Brasilien, Nigeria, Russland und Japan vorgestellt werden.

Einige Schritte neben dem Krematorium in Auschwitz verweilte ich kurz. Ich berührte den Stacheldrahtzaun - nicht mehr unter Strom, aber immer noch einschüchternd. Ich war überwältigt von der Ungeheuerlichkeit, die dahinter passiert ist, und demütig gegenüber dem Mut und den Opfern der Soldaten und Führer vieler Nationen, die die Nazi-Bedrohung besiegten. Meine Hoffnung ist, das unsere Generation und die zukünftige dieselbe Zielstrebigkeit aufbieten, um zu verhindern, dass solcher Horror nirgends mehr und niemandem mehr passiert und dass eine Welt der Gleichstellung für alle entsteht.

 

Der Text erschien:
am 27.1.2014, DER STANDARD