IAK :: Erinnern an gestern, Verantwortung für morgen

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23. Februar 1945: Von Falkenberg-Eule nach Ebensee

„Gebt uns Wasser, gebt uns Brot.“

Noach Flug wurde am 1. Januar 1925 in Lodz geboren. Dort erlebte er auch den Einmarsch der Deutschen 1939. Dort wurde er mit anderen Juden in ein Ghetto gepfercht, aus dem er im August 1944 mit 90 000 anderen  Lodzer Juden nach Auschwitz abtransportiert wurde. Nur ein Drittel von ihnen überlebte die Selektion an der Rampe in Auschwitz-Birkenau.


Es ist dieser Moment, der ihm am meisten in Erinnerung bleibt, ihn  bis heute am stärksten berührt: Die Ankunft in Auschwitz an dieser Rampe. Es ist der Moment, wo er seine Familie zum letzten Mal sieht. Das wusste er in diesem Moment noch nicht, aber nach zwei Tagen Aufenthalt  im Lager hatte er verstanden, was mit seinen Angehörigen  geschehen war: 120 Mitglieder zählte allein die engere Verwandtschaft. Nach dem Krieg hat Noach Flug in Lodz nur zwei seiner Verwandten wiedergefunden. 


So ist nachvollziehbar, dass Noach Flug sich nicht vorstellen konnte, dass er nach Auschwitz, nach dem Verlust seiner Eltern,  nach dem Aufenthalt im Außenlager Falkenberg Eule noch Schlimmeres erleben könnte. Es kam anders.

„Im Februar haben wir in Falkenberg schon die Artillerie gehört, die Front hat sich genähert. Am 23. Februar 1945 bekamen wir den Befehl, dass wir am nächsten Morgen um sechs Uhr das Lager räumen müssten.“


Es waren etwa sechshundert Häftlinge, die sich am nächsten Morgen frierend versammelten. Sie trugen ihre gestreiften Häftlingsanzüge, durch die der Wind pfiff. Die meisten hatten schlechte, kaputte Schuhe, manche nur Holzpantinen. Sie bekamen nichts mit auf den Weg, keine Verpflegung. Kein Wasser. „Und so haben wir angefangen zu marschieren, bei Schneeregen, von morgens um sechs bis spät abends. Wer nicht mitkam, wurde erschossen. Wer noch laufen konnte, versuchte zu zweit jemanden mitzuziehen, der nicht mehr die Kraft dazu hatte. So ging das ein paar Tage.“


Sie übernachteten in Scheunen oder in anderen kleinen Konzentrationslagern. An alle Stationen kann sich Noach Flug nicht mehr erinnern. Nach ein paar Tagen wurden die Häftlinge in offene Güterwaggons verladen. 
Doch ihre Lage in den Waggons wurde nicht besser.

Es gab weder zu essen noch zu trinken. Es gab keine Toiletten und keinen Schutz vor dem ständigen Schneeregen.

Die Fahrt ging durch Tschechien. Dort erlebten die Häftlinge einen Moment der Mitmenschlichkeit. „In Tschechien sind wir an einer Station stehen geblieben. Wir sahen Leute, die zur Arbeit gingen. Da haben wir geschrieen. Gebt uns Wasser, gebt uns Brot. Sie haben uns zugeworfen, was sie gerade bei sich hatten: Wasserflaschen, Brot. Aber die SS wollte das nicht dulden und hat auf sie geschossen.“
Als der Transport nach neun oder zehn Tagen endlich seine Bestimmung  Ebensee, ein Außenlager von Mauthausen, erreichte, war ein Drittel der Gruppe tot: Erfroren, erschossen oder verhungert.
Glaubten die Häftlinge nun, endlich das Schlimmste hinter sich zu haben, so täuschten sie sich: Es kam noch schlimmer.

„Der Empfang in Ebensee war schrecklich. Wir mussten durch ein Spalier laufen, da standen Kapos und Sonderkommandos. Jeder von ihnen hatte einen Knüppel in der Hand und schlug auf uns ein.“ 
Viele der vollkommen geschwächten Männer schafften unter dem Hagel der Schläge  nicht bis zum Ende des Korridors.  Wer hinfiel und nicht mehr aufstand, wurde einfach  beiseite geschafft und auf einen Leichenhaufen geworfen. So erging es auch Noach Flug. Doch nachts kamen Freunde, um ihn zu suchen. Sie entdeckten ihn unter den Toten und gaben ihm etwas zu essen und zu trinken. So überlebte er. Am Ende dieses Tages lebte nur noch die Hälfte der Häftlinge, die in Falkenberg los marschiert waren.

Ebensee war ein „junges“  Lager. Dort sollte in unterirdischen Stollen  eine neue Wunderwaffe – die Rakete A 9/10 – produziert werden. Dazu ist es nie gekommen, stattdessen wurde dort Treibstoff hergestellt. Bis zuletzt jedoch mussten die Häftlinge an dem Bau der unterirdischen Fabrikhallen weiter arbeiten. Dort wurde auch Noach Flug eingesetzt. In diesen letzten Monaten war Ebensee vollständig überfüllt. Da dies einer der wenigen Orte war, den die Alliierten noch nicht erreicht hatten, kam dort ein Häftlingstransport nach dem anderen an. Alle hatten Todesmärsche  und Todeszüge hinter sich, so wie Noach Flug. „Die Lebensbedingungen im Lager Ebensee waren katastrophal. Die Häftlinge starben wie die Fliegen, fünfhundert in einer Woche“, so meint Noach  Flug. „Wir haben  hundertzwanzig Gramm Brot am Tag bekommen und etwas dünne Suppe. Dabei haben wir schwer gearbeitet, von früh morgens bis in die Nacht. Mit Schaufeln und Schubkarren haben wir die Erde aus dem Stollen geholt.“

Am Ende  war Noach Flug nur noch Haut und Knochen. Die Befreiung am 5. Mai 1945 kam für ihn buchstäblich in letzter Minute.