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Pressespiegel des Internationalen Auschwitz Komitees

13.09.2014

Fiktives Tagebuch, wahre Geschichte

 
 
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Quelle: Neues Deutschland, 13./14. September 2014

Mit einem Kunstprojekt wird in Berlin an die Leidensgeschichte eines jüdischen Paares erinnert


Von Ingrid Heinisch

„Es hat sich nichts geändert in den letzten siebzig Jahren“, so lautet die bittere Bilanz, die Auschwitz-Überlebende Eva Fahidi zur Situation der Juden in ihrem Heimatland Ungarn zieht. Sie meint die Haltung ihrer Landsleute gegenüber den Juden, den unveränderten Hass, der es vor siebzig Jahren den Nazis ermöglichte, innerhalb weniger Wochen fast eine halbe Million ungarischer Juden nach Auschwitz zu deportieren und die meisten von ihnen ebenso schnell zu ermorden. Anlass zu dieser Aussage war die szenische Lesung eines fiktiven Tagebuchs des jüdischen deutsch-polnischen Künstlerpaars Felka Platek und Felix Nussbaum, die mit einem der letzten Transporte am 2. August nach Auschwitz kamen und dort auf ungeklärte Weise starben bzw. ermordet wurden. Dazu hatten am Donnerstag die Landesvertretung von Niedersachsen und das Internationale Auschwitz-Komitee (IAK) eingeladen.

Das Tagebuch, so erläuterte der Autor Christoph Heubner und Vizepräsident des IAK, war Teil eines Gesamtprojekts: zu Beginn hatten Auszubildende von VW während ihres Aufenthalts in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte von Auschwitz sich mit der Geschichte des Künstlerpaars auseinandergesetzt und dann die großflächigen Reproduktionen von Gemälden der beiden gefertigt, die am Zaun der niedersächsischen Landesvertretung gezeigt wurden. Dann die Veröffentlichung des Tagebuchs im Internet unter www.find-felka-find-felix.info und schließlich diese Lesung mit Eva-Maria Kurz als Felka und Gerd Grasse als Felix, die wiederum einen Beginn bedeutete: gezeigt wurden als Dias Illustrationen zum Tagebuch von Petra Rosemann, dieses Projekt ist noch nicht abgeschlossen.

Sehr gut könne sie sich in die Felka Platek und Felix Nussbaum hineinversetzen, so Eva Fahidi. Als sie nach Auschwitz kamen, waren sie Mitte vierzig, so alt wie ihre Eltern damals, die auch in Auschwitz ermordet worden sind. „Wir alle wussten doch, dass der Krieg für die Deutschen verloren war. Ich kann mir vorstellen, wie sie wieder Hoffnung geschöpft haben, noch ein paar Wochen oder Monate, aber die Deutschen waren noch stark genug, den ungarischen Holocaust durchzuführen“ - und die letzten Juden aus dem übrigen Europa, deren sie noch habhaft werden konnten, zu ermorden: z. B. Felka Platek und Felix Nussbaum.

Ohne Voyeurismus beschreibt Christoph Heubner die Kindheit der beiden in Warschau und Osnabrück, ihre Liebe zur Kunst und den unbedingten Willen beider zu malen, die Abnabelung von den traditionellen Vorstellungen der Elternhäuser, die beide schließlich nach Berlin führte, wo sie sich in einer privaten Kunstschule in der Kantstraße kennen und lieben lernen. Das klingt zuerst so heiter wie ihre Namen: die Glücklichen, aber langsam zieht sich das Grauen zusammen, etwa wenn Felka schreibt, sie habe sich als „geschützte Minderheit“ porträtiert und das Bild beschriftet: „bitte leben lassen. Aber niemand hat gelacht.“

Schon früh sind die beiden auf der Flucht vor den Nazis. Sie kehren von einem Italienaufenthalt nicht zurück, als am 30. Januar 1933 Felix Atelier und darin all seine Gemälde verbrennen. Ihr weiteres Leben ist von Angst geprägt, Angst um die Familie, um ihr Überleben und von dem brennenden Willen, das erlebte in ihnen Bildern zu dokumentieren, so beschreibt es Christoph Heubner. Als Belgien von den Nazis überrollt wird, müssen sie sich verstecken, schließlich werden sie bei einer Razzia entdeckt und in einem der letzten Transporte nach Auschwitz gebracht. Für die letzte fiktive Tagebucheintragung benutzt der Autor bekannte Bilder, wie sie von den Transporten von vielen Überlebenden berichtet worden sind: die Enge, der Gestank, die Leichen derjenigen, die schon im Zug gestorben sind, und doch bricht das Grauen endgültig über dem Zuhörer zusammen: „Sie öffnen die Tür, das Licht tut weh in den Augen. Ich sehe Hunde, die an der Leine reißen.“


Quelle: Neues Deutschland, 13./14. September 2014