Zum bevorstehenden Urteil im Stutthof-Prozess gegen die ehemalige Sekretärin des Lagerkommandanten Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen betonte in Itzehoe Christoph Heubner, der Exekutiv Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees:
"Mit großer Spannung und innerer Anteilnnahme erwarten Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager das heutige Urteil im Itzehoer Stutthof Prozess gegen die ehemalige Sekretärin des Lagerkommandanten Irmgard F. Das nach langen Jahrzehnten des Wegschauens und der Versäumnisse der deutschen Justiz noch einmal eine Beteiligte am Mordsysystem der SS vor einem deutschen Gericht gestanden hat, hat sie ebenso berührt, wie die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen, die in diesem Prozess zur Stimme aller in den Lagern Ermordeten und zur Stimme aller Überlebenden geworden sind. Sie sind dankbar für das Engagement des Gerichts, dem deutlich gewesen ist, dass in Itzehoe -gerade im Blick auf gegenwärtige und zukünftige Verbrechen gegen die Menschlichkeit- Rechtsgeschichte geschrieben wird: Die Gerechtigkeit hat kein Verfallsdatum und ein langes Gedächtnis - wenn es Menschen gibt, die sich dieser Haltung verpflichtet fühlen. Das ist gerade in diesen Tagen ein weithin sichtbares Signal.
Die Angeklagte hat sich in diesem Prozess der Geschichte und der Erklärung ihres eigenen Lebens verweigert, so wie sie zu Beginn dieses Prozesses davonzulaufen versucht hat. Darüber täuschen auch die späten und dürren Worte ihrer Entschuldigung nicht hinweg. Sie steht damit in einer langen und entsetzlichen Tradition des Schweigens von SS-Tätern und ihren Helferinnen und Helfern, die alle nötig und behilflich waren, um das Mord- und Gewaltsystem in den Konzentrationslagern überhaupt durchführen zu können. Wenn das Gericht tatsächlich -wie von der Staatsanwaltschaft gefordert- eine Bewährungsstrafe ausspricht, dann sollte es zu den Bewährungsauflagen des Gerichts gehören, Frau F. aufzufordern, in der ihr verbleibenden Lebenszeit vor Schulklassen und Gruppen Jugendlicher über ihren Lebensweg zu berichten und zu erklären, wie sie als junger Mensch in diesen Teufelskreis von Macht und Menschenvernichtung hineingeraten ist und wie die nationalsozialistische Ideologie des antisemitischen Hasses und der Gewalt sie zu dem werden ließ, was sie war.
Meine Gedanken gehen an diesem Tag zu dem deutsch -jüdischen Mädchen Helga Meyer als Langenfeld im Rheinland, deren Spur sich als 9jährige im Winter 1944/45 in Stutthof verliert und zu dem polnischen Stutthof-Überlebenden Leon Lendzion aus Danzig, der die Ermordung seines Vaters in Stutthof erlebte, und nach seiner jahrelangen Lagerhaft als polnischer Patriot in Stutthof und anderen deutschen Konzentrationslagern zu einem Wegbereiter polnisch-deutscher Aussöhnung und Verständigung geworden ist: Leon Lendzion hat das getan, was Irmgard F. der Welt verweigert hat: Er hat zu jungen Menschen gesprochen, ihnen über seine Erinnerungen und Erfahrungen berichtet und sie zur aktiven Teilnahme an der Demokratie und ihrer Zukunft ermutigt."