- Jerzy Bogusz wollte gegen die Deutschen kämpfen – 1942 wurde er aus Auschwitz "entlassen"; er schloss sich den Partisanen an
80. Jahrestag des ersten Transportes nach Auschwitz
Wer fiel, wer strauchelte, wer irgendeine Schwäche zeigte, der wurde erbarmungslos erschlagen
Jerzy Bogusz‘ Geschichte ist wie die der anderen. Er war jung, er hätte gerade sein Abitur gemacht, wenn der Krieg und die deutsche Besatzung es nicht verhindert hätten. Und als dieser kurze Krieg zu Ende ging und in der deutschen Besatzung seiner Heimat mündete, dann wollte er ihn wie so viele junge Polen aus guten Gründen weiter führen. Er wollte sich nicht ergeben, sondern weiter kämpfen. Wo auch immer, ob in Frankreich oder in England. Hauptsache, sich nicht ergeben. Diese jungen Männer, die mit dem ersten Transport aus dem Polizeigefängnis von Tarnow nach Auschwitz verfrachtet wurden, ähnelten sich sehr: Sie waren idealistisch und voller Hoffnung, dass sich ihr Schicksal nach dem, was sie in den deutschen Polizeigefängnissen, besser gesagt in den deutschen Folterkellern erlitten hatten, dass es nur noch besser werden könnte.
Jerzy Bogusz war zuerst einer von vielen. Denn fast die gesamte polnische Jugend ging 1939 in den Untergrund, in den Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Und dann war er einer der wenigen. Denn nur ganz wenige, die mit dem größten Pech, landeten in diesem neuen Lager Auschwitz.
„Auschwitz!“ Diesen Namen sahen sie, als der Zug langsamer wurde. Aber wie auch seine Mitgefangenen wusste er nichts mit dem Namen anzufangen. Hatten die Nazis doch aus dem polnischen Oswiecim ein deutsches Auschwitz gemacht. Und wenn schon? Was hätte ihm sein Wissen genützt? Auf das, was sie erwartete, war keiner von ihnen vorbereitet. Auch Jerzyj Bogusz war zuvor gefoltert worden. Wie alle anderen hoffte er, dass nun alles besser werden würde, als er mit seinen Mitgefangenen in Tarnow in den Zug stieg. Sie waren nicht ganz siebenhundert.
Als der Zug hielt, warteten draußen auf sie Männer in weiß-blau gestreiften Anzügen. „Zuerst glaubten wir, es seien Matrosen.“ Aber es waren deutsche Kriminelle, die aus Sachsenhausen in das neue Konzentrationslager gebracht worden waren, um hier als Kapos der polnischen Häftlinge zu fungieren. Sie bildeten ein Spalier, durch das die Neuankömmlinge laufen mussten und schlugen gnadenlos mit ihren Stöcken auf sie. Wehe dem, der strauchelte.
„Aber ich war jung, ich kam durch, ich fiel nicht, im Gegenteil, ich konnte den meisten Schlägen ausweichen“, so erinnerte sich Jerzy Bogusz.
Seine Jugend half ihm auch, die sogenannte Quarantäne zu überstehen. Dort starben die ersten Mithäftlinge aus dem Transport, die älter und schwächer waren als er. Und er begriff, dass die Worte des Lagerführers Fritsch, die er am ersten Tag gehört und verstanden hatte, wahr waren. Wer fiel, wer strauchelte, wer irgendeine Schwäche zeigte, der wurde erbarmungslos erschlagen.
Als er wenig später schon im Lager bei einem Appell zusammenzubrechen drohte, gelang es ihm, sich heimlich vom Appellplatz zu entfernen und Zuflucht zu suchen. „Ich kam in den Block drei und dort traf ich im Keller einen anderen Häftling, der ein Fenster reparierte. Er hat mich versteckt.“ Es war einer der späteren Kapos. Als die ersten Kommandos gebildet wurde, hat dieser Kapo ihn wiedererkannt und in sein Kommando aufgenommen. Das war für Jerzy Bogusz schieres Glück, wie er selbst erkannte: „Um zu leben, reichte es nicht jung und gesund zu sein. Es kam auf die Arbeit an.“ Die Arbeitsbedingungen in der Glaserei waren gut. Sie forderte körperlich nicht zu viel und vor allem war er sicher und trocken im Inneren vor den Widrigkeiten des Wetters geschützt.
Noch besser erging es ihm im Lagerkrankenhaus. Auch dorthin brachte ihn der Zufall. Einer der Ärzte wurde auf ihn aufmerksam, weil er Deutsch verstand. So erhielt er den Auftrag, die Krankenkartei zu verwalten. Dort konnte ihm nichts mehr geschehen.
Es kam sogar noch besser. Ende 1942 wurde er mit einigen anderen Häftlingen freigelassen. Unter Auflagen natürlich. In seinem Heimatort Nowy Sacz musste er sich zwei- bis dreimal in der Woche bei der Gestapo melden. Deren Erwartungen waren klar. Er sollte seine Nachbarn und Freunde, seine Familie und deren Bekannte ausspionieren. Das konnte und wollte er nicht. „Ich habe immer das Gleiche gesagt. Dass mir niemand vertraut, weil ja jeder sieht, dass ich regelmäßig ins Gestapohauptquartier gehe. Dass ich deshalb nichts wüsste und ihnen nichts berichten könne.“
Die Gestapo übte Druck aus. Sie drohten ihm, dass sie ihn wieder nach Auschwitz schicken würden, dass sie seine Eltern verhaften würden, dass ihnen ebenfalls Auschwitz drohte, wenn nicht sogar Schlimmeres.
„Es war die schlimmste Zeitspanne meines Lebens, wenn es um die deutsche Okkupation geht.“ Jerzy Bogusz blieb beharrlich bei seiner Aussage, er könne nichts berichten. Doch der Druck auf ihn war enorm, die Zwickmühle, in der er sich befand, unauflösbar. Am Ende gewann er den Nervenkampf. Die Gestapo entließ ihn aus der Verantwortung.
Wenig später schloss er sich polnischen Partisanen an. Oben in den Bergen über Nowy Sasz in den Tataren. „Tatarenhotel“ nannte er es liebevoll. Weil „das die beste Zeit meines Lebens während des Kriegs war. Natürlich starben Freunde von mir, aber für mich war es das Beste.“ Endlich hatte er sein Ziel erreicht, zu dem er über vier Jahre zuvor aufgebrochen war: Gegen die Deutschen zu kämpfen. Jerzy Bogusz hat viele Ehrungen für seinen Kampf gegen die Nazis erhalten. Das Partisanenkreuz hielt er in besonderen Ehren. Im November 1944 wurde Nowy Sacz von sowjetischen Truppen befreit.
Jerzy Bogusz kehrte in sein ziviles Leben zurück. Er studierte am Politechnikum in Krakau und arbeitete dort bis zur Rente als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er war ein häufiger Gast in der Gedenkstätte von Auschwitz, vor allem aber besuchte er sie an jedem Jahrestag des erstens Transports aus Tarnow mit seinen anderen Kameraden, die überlebt hatten. Es wurden immer weniger. Schließlich war er der letzte der Überlebenden, die dort noch Zeugnis ablegen und der toten Kameraden gedenken konnte. „Ich bin heute der letzte hier, vom ersten Transport lebt keiner mehr,“ sagte er sichtlich traurig und bewegt den jungen Journalisten, die in interviewten. Sein schütteres Haar war schlohweiß, schmal war, es strengte ihn sichtlich an, ihren Fragen zu antworten. Aber er hielt sich mit aller Kraft aufrecht. Am Ende verabschiedeten sie sich von ihm mit den Worten: „Bis zum nächsten Jahr.“ „Das wird wohl nicht gehen“, antwortete er. Er hat Recht behalten. Am 25. September 2016 ist Jerzy Bogusz zwei Tage vor seinem 95. Geburtstag gestorben. Dann war fast keiner mehr da, der von diesem ersten Transport nach Auschwitz berichten konnte.
Text: Ingrid Heinisch