Quelle: Mitteldeutsche Zeitung
VON MICHAEL BERTRAM
Kurz nachdem die Stadt Merseburg eine Straße auf Vorschlag der örtlichen Hochschule dem Forscher Günther Adolphi gewidmet hat, haben zwei Historiker eine Debatte über die die Rolle des Namensgebers in der NS-Zeit angestoßen.
Eine nach dem international anerkannten Verfahrenstechniker Günther Adolphi (1902-1982) benannte Straße in Merseburg schlägt weiterhin hohe Wellen. Kurz nachdem die Stadt die Straße, die jahrelang nur mit einer Nummer versehen war, auf Vorschlag der Hochschule gewidmet hatte, haben zwei Historiker eine Debatte über die Rolle des Namensgebers in der NS-Zeit angestoßen. In diese hat sich gestern nun auch das Internationale Auschwitz-Komitee, ein Zusammenschluss von Auschwitz-Überlebenden und ihren Organisationen, eingeschaltet.
Adolphi arbeitete ab 1943 in Auschwitz
Wie bereits zu Jahresbeginn aufgetauchte Dokumente zeigen, arbeitete Adolphi ab dem Jahr 1943 für die IG Farben in Auschwitz. Bis 1945 war der später von der TH Merseburg sogar zum Ehrenprofessor ernannte Wissenschaftler demnach als Montageleiter maßgeblich mit für den Aufbau einer Methanolfabrik zur Produktion von Treibstoffen in Auschwitz tätig.
Historiker beruft sich auf Zeitzeugenberichte
Bereits im Jahr 2009 beleuchtete der Historiker Georg Wagner-Kyora in seiner Habilitationsschrift „Vom 'nationalen' zum 'sozialistischen' Selbst“ Biografien deutscher Chemiker während der NS- und DDR-Zeit. Ein ganzes Kapitel widmet sich dabei der Tätigkeit Günther Adolphis, der von 1943 bis Januar 1945 als Unterabteilungsleiter in der Hydrierung und als Montageleiter für den Aufbau der Fabrik zuständig war. „In dieser Funktion hatte er mutmaßlich persönlich KZ-Häftlinge bei Bauarbeiten eingesetzt, beaufsichtigt und ihre Arbeitsfähigkeit kontrolliert sowie diszipliniert“, schreibt der Historiker in seinem Buch. Er beruft sich dabei jedoch nur auf Zeitzeugenberichte, die deutlich machen, dass die Ingenieure das Leid der Häftlinge und deren massenweises Sterben aufgrund von Hunger und Kälte mitbekamen und dem gegenüber mit der Zeit abstumpften.
Empörung über Umbenennung
Trotzdem hatte eine Gruppe von Hochschulprofessoren und -mitarbeitern der Stadt vorgeschlagen, die Straße nach Adolphi zu benennen. Angeblich aus Unwissenheit über diese Verwicklungen. „Die Hochschule und die Stadt tun gut daran, diese schlampige und absolut pietätlose Entscheidung baldmöglichst zu korrigieren“, erklärte gestern Christoph Heubner, Geschäftsführender Vizepräsident des Auschwitz-Komitees. „Es mutet makaber an, 2014 eine Straße auf einem Hochschulcampus nach einem Wissenschaftler zu benennen, der tief ins Auschwitz-System verstrickt war.“ Die Organisation war durch den Berliner Werner Rosenthal auf die umstrittene Widmung aufmerksam gemacht worden, der wiederum durch die Berichterstattung der MZ Wind von der Sache bekam. Auch Rosenthal, der selbst von Angehörigen berichten kann, die in Auschwitz ums Leben kamen, nannte die Benennung der Straße einen ungeheuren Vorgang.
Nach der von den Historikern geäußerten Kritik hatte die Stadt zunächst erklärt, die Hochschule mit der erneuten Überprüfung beauftragen zu wollen. Am Mittwoch ruderte Oberbürgermeister Jens Bühligen (CDU) allerdings zurück: Es solle sich eine dritte, neutrale Stelle mit den Vorwürfen befassen. „Sollte da etwas dran sein, werden wir die Straße natürlich sofort umbenennen“, sagte er. Zudem wolle Bühligen umgehend das Gespräch mit dem Komitee suchen.
Hochschulrektor Jörg Kirbs würdigte Adolphi als herausragenden Wissenschaftler und warnte vor einem Generalverdacht. „Die geäußerten Vorwürfe gegen ihn waren uns zum Zeitpunkt der Namensfindung unbekannt“, sagte er. Kirbs habe seine Mitarbeiter bereits mit der erneuten Prüfung beauftragt, die jetzt in aller Ruhe erfolgen soll. (mz)
Quelle: http://www.mz-web.de/merseburg-querfurt/guenther-adolphi-strasse-in-merseburg-auschwitz-komitee-empoert-ueber-namensvergabe,20641044,30920154.html